Spinnen, eine Tiergruppe, der viele aus Unkenntnis sprichwörtlich „Spinnenfeind“ sind, von der Hausfrau meist mit Schrecken entdeckt, verfolgt und oft falsch dargestellt, zeichnen sich durch eine Vielzahl bemerkenswerter Leistungen und Verhaltensweisen aus.
Einmalig für
Spinnen ist die Lebensweise der Wasserspinne (Argyroneta
aquatica), die sich als einzige der etwa 30.000 Webspinnenarten
(Araneae) zeitlebens unter Wasser aufhält. Eine echte Spinne als
Aquanaut! Stimulanz und Anlass genug für Beobachtungen und
Untersuchungen. So überrascht es nicht, dass bereits aus dem Jahr
1749 eine kleine Abhandlung über ihre Lebensweise vorliegt. Ihr
Autor, der Abbe De Lignac, erkannte die silberglänzende Schicht, die
den Körper umgibt und auch für den wissenschaftlichen Namen Pate
stand (Argyroneta = Silbergesponnen), zurecht als eine Lufthülle.
Erst durch diese am Körper unter Wasser gerissene atmosphärische
Luft ist der Spinne das Leben als Unterwasserlufttier möglich.
Wie wird nun die
Lufthülle der Wasserspinne im Haarkleid festgehalten? Diese
Kernfrage stand lange im Brennpunkt des wissenschaftlichen
Meinungsstreits. Anfangs nahm man an, eine von der Spinne
ausgeschwitzte Fett- oder Firnisschicht bindet die Lufthülle an den
Körper. Nachdem sich zeigte, dass ein mit Äther entfetteter
Hinterleib trotzdem die Luft hält, wurde versucht dieses Phänomen
anderweitig zu erklären. Es entstand die Gespinst-Hypothese. Danach
sollte die Lufthülle durch ein feines Gespinst festgehalten werden.
Unter dem Binokular ergaben sich jedoch dafür selbst bei starker
Vergrößerung keine Anhaltspunkte. Schließlich erkannte man, dass
allein das dichte, spezifisch differenzierte Haarkleid aus rein
physikalisch-mechanischen Gründen für das Haften der Lufthülle
verantwortlich ist. Bei näherer Betrachtung lassen sich deutlich
zwei jeweils gefiederte Haartypen unterscheiden, kürzere Haare, die
klar überwiegen und etwa zwei Drittel der Körperbehaarung stellen
und längere, weniger gefiederte „Pfeilerhaare“. Im Labyrinth der
zahllosen Raume des kürzeren „Unterpelzes“ wird die Luft durch
Adhäsion festgehalten. Die größeren Haare der Wasserspinne haben
eine andere Funktion. Sie stützen die Wasserhaut wie Pfeiler vom
Körper ab. Da diese Grenzschicht gleichsam nadelkissenartig von
vielen Pfeilerhaaren getragen wird, kann sie dem Wasserdruck
standhalten. An den „Pfeilerspitzen“ beult sich durch den Druck
die Wasserhaut lediglich leicht aus. Wie schon ältere Untersuchungen
Haut und Haare der Wasserspinne richtig vermerkten, ist die
Lufthülle demnach nicht glatt, sondern an sehr vielen Stellen etwas
gebuckelt.
Erwähnt sei noch,
dass die Pfeilhaare der Wasserspinne im Gegensatz zum ersten Haartyp
recht unterschiedlich lang sind. Wie man bereits mit einer Lupe sehen
kann, stehen die längsten Haare auf der Bauchseite, vor allem im
Bereich der Atemöffnungen. Damit wird zugleich verständlich, warum
die Lufthülle dort am stärksten ausgebildet ist. Diese mächtige
bauchseitige Luftkissen bedingt auch die charakteristische Rückenlage
der Wasserspinne beim Schwimmen. Der daraus entstehende Auftrieb
lässt der Spinne hinsichtlich der Schwimmstellung praktisch keine
andere Wahl. Nur in der Rückenlage kann sie durch einen nach
rückwärts und oben gerichteten Beinschlag Auftrieb und den
Wasserwiderstand erfolgreich entgegenwirken. Allerdings ist das
Schwimmvermögen der Spinne, offenbar wegen der unzureichenden
Anpassung der Extremitäten an das Schwimmen, nicht besonders gut
entwickelt.
In jüngster Zeit
wurde die Haut der Wasserspinne Arygyroneta auch mit dem
Elektronenmikroskop untersucht. Dabei gelang es, eine starke
Lamellierung der Haut nachzuweisen, die in so ausgeprägter Form bei
anderen Spinnenarten noch nicht beobachtet worden war. Die
Lamellierung könnte möglicherweise eine bisher noch nicht beachtete
Rolle in der Lufthaltetechnik der Wasserspinne Argyroneta aquatica
spielen könne.
Wäre die
Wasserspinne nun einzig und alleine auf die in ihrem Haarkleid
festgehaltene Luft angewiesen, dann müsste sie zum Tanken der
notwendigen Atemluft häufig zur Wasseroberfläche emporsteigen.
Solche Verhältnisse sind ja von verschiedenen Wasserinsekten, z.B.
von Gelbrand (Dytiscus marginalis), Kolbenwasserkäfer (Hydrous) und
Rückenschwimmern (Notonecta), gut bekannt, die einen bestimmten
Luftvorrat bei sich führen und aus diesem entsprechend Luft
schöpfen. Andererseits können sich auch andere Spinnenarten –
wenngleich nur zeitweilig – unter Wasser aufhalten. Am populärsten
sind vielleicht die zu den Wolfsspinnen (Lycosidae) zählenden
Wasserjäger (Pirata). Man kann sie auf der Wasseroberfläche der
stehenden Gewässer bei der Jagd nach kleinen Insekten beobachten.
Bei Gefahr tauchen sie dann oft unter Wasser.
Alle diese Arten übertrifft die Wasserspinne dadurch, dass sie unter Wasser Luftglocken (Luftreservoire) anlegt. Sicher sind es ebensolche Wunderwerke, wie die zwischen Halmen, Zweigen oder Ästen ausgespannten Radnetze der Kreuzspinne (Araneidae). Erst die Luftglocke schafft die Voraussetzung zum dauernden Wasseraufenthalt. Sie gewährleistet nicht nur die Sauerstoffversorgung, sondern bietet gleichzeitig die Grundlage dafür, dass Ernährung, Häutung, Paarung und Eiablage an der Luft erfolgen können, obgleich die Wasserspinne Argyroneta im Wasser lebt. Damit erklärt sich auch die geringe morphologische Abweichung von den an Land lebenden Spinnenarten. Die Luftglocke der Wasserspinne, das Urmodell der Taucherglocke!
Verfolgt man den
Bau einer solchen Luftglocke. Ihren Werdegang kann man im Aquarium
gut beobachten. Im dichten Pflanzengewirr entsteht zunächst ein
lockeres, ziemlich waagerechtes oder gering gewölbtes Gewebe, die
Dachkonstruktion. Wenn diese fertig ist, steigt die Spinne empor, um
Luft zu holen. Hat sie die Wasseroberfläche erreicht und mit den
Spitzen ihrer Vorderbeine getastet, wird durch eine charakteristische
Beinhaltung eingenommen. Das Hinterleibsende ragt dabei aus dem
Wasser heraus. Natürlich muss zur Erneuerung der Lufthülle die
Wasser-Luftgrenze zerrissen werden, ein Vorgang, der wegen der zu
überwindenden Oberflächenspannung durchaus nicht immer aus Anhieb
glückt. Am besten gelingt dies zwischen den Spinnwarzen, da die
Lamelle dort relativ großflächig und durch entsprechende
Spreizbewegungen der Warzen dünn und somit leichter zerreißbar
gestaltet werden kann. Durch Emporschnellen der kreuzweise über
Bauch und Rücken eingebogenen Hinterbeine wird dann eine größere
Luftmenge als sonst üblich „abgeschnitten“ und mit abwärts
genommen. Dieses erste Luftquantum bringt die Wasserspinne unter die
Dachkonstruktion und spinnt es dort – noch mit der Hinterleibsluft
verbunden – von innen an. Die Luft haftet sehr fest, erst nach
einem starken Ruck löst sie sich vom Spinnenkörper. Wiederholtes
Luftholen vergrößert die Luftmenge zusehends. Zwischendurch spinnt
die Wasserspinne Argyroneta das Innere der von oben nach unten
wachsenden Glocke weiter aus und legt neue (sekundäre) Haltefäden
an. Die Luftglocke entsteht also etappenweise. Ihre Form unterliegt
keinem festen Schema, zwischen Schilfrohr ist die natürlich anders
als in einer dichten Fadenalgenschicht.
Dem steht nicht entgegen, dass für verschiedene Lebensvorgänge sogar bestimmte Glockentypen angelegt werden. Oft baut die Spinne ihre bisher bewohnte Glocke lediglich um. So kann beispielsweise eine günstig liegende Wohn- oder Sommerglocke, die den Normaltyp repräsentiert, durch stärkeres Ausspinnen, Vergrößerung, bessere Befestigung und Einziehen einer horizontalen Gespinstscheidewand in eine Eiglocke umgewandelt werden. Im oberen Raum ist der Kokon mit etwa 20 bis 100 Eiern deponiert, darunter sitzt das Weibchen, das Wache hält und für Lufterneuerung sorgt. Noch häufiger als Wohnglocken der Wasserspinne sind Ernährungsglocken, in denen die gerade gefangene Beute, Wasserasseln (Asellus aquaticus), Hüpferlinge, Wasserflöhe, Insektenlarven usw., verzehrt wird. Einzig für diesen Zweck angelegt, erweisen sich allerdings meist als sehr kurzlebig und verlieren rasch ihre Luft. Weiterhin gibt es kleine walzenförmige Spermaglocken, wo die Spinnenmännchen auf einem Querband Samenflüssigkeit absetzen und diese anschließend mit den Tastern (zwecks Spermaübertragung) abtupfen, sowie Häutungs- und Winterglocken.
Zur Überwinterung
suchen vor allem junge Wasserspinnen auch leere, am Gewässerboden
liegende Schneckenschalen auf. Nach verschiedenen Untersuchungen
werden Gehäuse von Spitzhornschnecken (Lymnaea stagnalis)
bevorzugt von der überwinternden Wasserspinne bezogen. Durch die
eingetragene Luft steigen diese zwangsläufig zur Wasseroberfläche
auf, wo sie dann, ohne dass die Spinne Schaden nehmen, einfrieren.
Betrachtet man
noch einige unumgängliche atmungsphysiologische Fragen. Zum
Verständnis der Lebensweise der Wasserspinne Argyroneta ist es
wichtig zu wissen, dass Lufthülle und Glocke als „physikalische
Kieme“ wirken. Die Vermutung, in der Glocke würde der gleiche
Sauerstoffgehalt wie in der Atmosphäre (20,9%) vorliegen, erwies
sich als falsch. Analysen ergaben für den Sommer einen O2-Gehalte
von etwa 6 bis 10%, im Winter lag er bei etwa 17%. Demnach sinkt der
O2-Gehalt der
eingebrachten Luft im Sommer schnell ab, der höhere Prozentsatz im
Winter dürfte vor allem auf die Aktivitätsminderung der
Spinnen zurückgehen.
Sowohl in der
Glocke als auch in der Lufthülle erfolgt ein Diffusionsaustausch
zwischen dem ausgeatmeten CO2 und dem im Wasser eingebundenen
O2. Das CO2 diffundiert dabei vollständig in das kohlensäurearme
Wasser. Die Diffunsionsgeschwindigkeit von O2 in die Glocke bzw. die
Lufthülle ist selbstverständlich vom Diffusionsgefälle zwischen
diesen Luftspeichern und dem Wasser abhängig. Günstigenfalls
dürften sich O2-Verbrauch und -Erneuerung durch Diffusion etwa
ausgleichen.